16. malaktion, Prinzendorf 1983

16. malaktion, Prinzendorf 1983

16. malaktion, Prinzendorf 1983

Aktionsmalerei

nach dem 2. weltkrieg entstand eine malerei, welche nichts darstellen wollte, die nichts in der natur bereits vorhandenes reproduzieren wollte, sondern innerhalb des bildgefüges auf der leinwand selbst spielten sich konkrete vorgänge ab, welche selbst, oder deren auswirkungen zur schau gestellt wurden. die farbe wurde nicht als farbklang, sondern als konkrete substanz begriffen, als paste oder flüssigkeit, die verschmiert oder verschüttet wurde, es entstanden resultate, bedingt durch die geste und motorik von arm- und handbewegungen, es wurde gekritzelt, geschmiert, substanzen, flüssigkeiten, farben wurden auf die leinwand gespritzt, geschleudert, geschüttet usw. die anschaubarkeit der aktion war ein nicht unwesentlicher punkt dieser kunst, da viele maler ihre arbeiten in einem tatsächlich empfundenen (sinnlichen) erregungs- und entäusserungszustand herstellten. der positiv registrierende zuschauer kann das erregende des entstehungsprozesses formal erfassen. das zur anschauung bringen konkreter vorgänge und deren auswirkungen forderten hersteller als auch den betrachter zu einem sinnlich intensiven empfinden auf, wobei man eine neue, für die form verwertbare wirkung benützt, welche viele objekte und vorgänge ausüben. gemeint ist das zur wirkung bringen, das herauskehren eines bestimmten teilbereiches des spektrums der sinnlichen empfindungen. ein elementar sinnliches empfinden wurde für die kunst dienstbar gemacht. dieses wahrnehmen des elementar sinnlichen ist paradoxerweise folge eines vertieften, erweiterten sensibilisierten und bewussteren sinnlichen begreifens. ein vertiefteres sinnliches umweltbegreifen bringt automatisch eine bewusstseinserweiterung mit sich. durch die informelle kunst wurden jene empfindungswerte für die form verwendet und bewusst gemacht, die eben erst an der schwelle der bewusstheit stehen. erst durch das informelle ist das menschliche reif geworden, einen teil des sinnlichen bewusst aufzunehmen, welches früher nur unterschwellig registriert wurde, sich aber über den assoziationsweg, durch traum, erinnerung, dichtung und mythos wachrufen liess. die sinnliche empfindungsintensität sprachlicher bilder, provoziert durch das wort, ist ein wichtiger bestandteil des dichterischen (der lyrik). es werden unterschwellige empfindungswerte durch die form bewusst gemacht, einer nachträglichen registration zugänglich gemacht. diese nachträgliche registration von zuerst unterschwellig registrieretem wurde zum ästhetischen ereignis, zur form. es entstand eine kunst, welche sich direkt für tiefere psychische schichten interessierte, für die sie sogar als sprachrohr fungierte, verdrängungen verwandelten sich in kunst. diesen bestrebungen, welche fast auf der ganzen welt annähernd gleichzeitig, natürlich mit den verschiedensten färbungen, auftraten, hing der begriff des tachismus nach, gerade jetzt, da wir eine distanz zum tachismus, zur entwicklung des gesamten informels haben, und wir uns mit den heute anders verstandenen konsequenzen des tachistischen auseinandersetzen, beginnt man einen überblick zu gewinnen und sieht, dass die maler jener richtung tatsächlich nichts so sehr eint, als gerade jener schamhaft verleugnete zug in den „tierbereich“. alle bindet sie ein lebhaftes interesse gegenüber der eigenen sinnlichkeit und triebhaftigkeit, gegenüber der inneren realität. alle kehren sie unbewusstes nach aussen und machen es formal bewusst. während die ersten tachistisch informellen produkte den durchbruch der verdrängten sinnlichkeit noch in kompositionsschemen der alten malerei einbauten, wurde später diese tradtionelle formale einengung immer mehr zerrissen und beiseite geschoben, immer mehr wurde die automatisch sich seismographierende, sinnliche erregung wesentlich. die freude am dynamisch-destruktiven konkreten ereignis schob sich nach vorne. bilder wurden zerrissen und zerstört. man wollte das bildformat sprengen, vereinzelt schienen sich die konsequenzen des tachistischen bemerkbar zu machen. alle bildwerdung wollte in der berauschung gegenüber dem konkreten, gegenüber der wirklichkeit enden. das innerste, vielleicht gar nicht erkannte anliegen des tachistischen lag im dionysisch-dynamischen, lag in einer psychische grundschichten erfassenden, bewusstmachenden abreaktion, die erregung, die lustaufwallung, die enthemmung, die ekstase, die lösung tiefliegender stauungen sollte sich darstellen. es entsprach dem charakter des tachistischen, ein dramatisch-expressives ausdrucksmittel zu sein. die aktionsmalerei beanspruchte einen zeitablauf, erschloss sich eine neue dimension in richtung zum theatergeschehen, zum dramatischen ereignis. dem informellen gestalten ist eine hinwendung zum theater widerfahren, wo es eingeordnet, unter geänderten voraussetzungen, in der umfänglichen erscheinungsform des happenings und vor allem des aktionismus seine wesentliche wirkung fand und findet.
gerade zur zeit, als ich das gestalten mit der wirklichkeit in mein theaterprojekt einführte, bekam ich fühlung mit dem tachismus, welcher damals gerade am überschreiten seiner hochblüte stand. ich begriff diese erscheinung sofort mit all ihren konsequenzen, da sie sich mit meinen von der sprache her erzielten resultaten deckte und der dramatisch dynamischen aussage entgegenkam. das verschütten, verspritzen und verplanschen von flüssigkeiten versuchte ich darauf intensiviert und analytischer zu betreiben. es entwickelte sich daraus die malerei des o. m. theaters, eine aktionsmalerei, welche durch das beanspruchen eines zeitablaufes durch teilweise ekstatische produktionsgänge eine dramatische funktion hatte (ich schüttete ausschliesslich rote farbe an senkrechte flächen und auf waagrechte flächen). ich begriff diese malerei, zu welcher auch die zuschauer herangezogen wurden, als litaneihaftes, durch schaumalen sich äusserndes spielgeschehen innerhalb meines theaters. meine aktionsmalerei ist die visuelle grammatik meines aktionstheaters auf einer bildfläche.  (1964)

die aktionsmalerei des o. m. theaters ist kein wiederaufleben der informellen kunst, sondern eine ständig vorhandene grundsätzliche struktur des o. m. theaters, welche zum grundexzess, zur zerreissung des GOTTIERES führt, offenbart sich zeitlos. die aktionsmalerei des o. m. theaters ereignet sich im raum spontan bei jeder aktion. im fall der neuen resultate wird die visuelle grammatik des o. m. theaters exempelhaft auf bildflächen gezeigt. 20 jahre habe ich im obigen sinn nicht mehr gemalt. ich beschäftige mich nur mehr mit der verwirklichung von aktionen, der erstellung von partituren und aufbereitung von aktionsrelikten. durch meine ausstellung in eindhoven wurden die räume von prinzendorf leer. eine starke lust überkam mich, alle wände und bodenflächen wieder zu bemalen. ich erlebte im heissen august dieses jahres viel freude beim beschütten, besudeln und bespritzen der flächen mit blutroter farbe. geschult durch die aktionen erreichte ich eine bei den früheren malereien nicht vorhandene unbekümmertheit, frische und spontaneität. eigentlich HABE ICH ALLES NUR VON OBEN BIS UNTEN BESCHÜTTET UND BESUDELT.  (1983)

freut euch, frohlockt und jubelt, weil die zeit erfüllt ist, dass ich mein gewand anziehe, das mir von anfang an bereitet ist. ich werde mein weisses gewand beflecken mit nassfeuchten, purpurtraubigen blutstropfen. ölige, fette, fruchtfleischrote blutstropfen und blutstinkende, feuchte schweissflecken tränken das garn des kleides. schweiss- und urinnass vom blut durchschwitzt ist mein winzerkleid. (1986)

1959 bekam ich kontakt mit der informellen malerei (pollock, franz kline, de kooning, sam francis). ich begriff sofort, diese maler wollten das gleiche, was ich durch mein theater wollte. nichts anderes, als sinnlich-erregende vorgänge wurden direkt zur anschauung gebracht. nichts mehr wurde dargestellt, abgebildet. der malvorgang selbst, der sich in der zeit ereignende produktionsvorgang wurde wesentlich. ein vorgang, der sich in der zeit ereignete, war eigentlich ein dramatischer vorgang. ich entdeckte die verbindung zum theater, zu meinem theater. die informelle malerei liess die sinnlichen vorgänge meines theaters auf einer bildfläche sich ereignen. ich hatte aber bereits mit meinem aktionstheater die bildfläche verlassen. es gab keine bühne mehr, ich stand vor der wirklichkeit. es ging darum, wirkliches geschehen zu inszenieren, – trotzdem reizte mich der weg zurück. ich konnte die einfachste aktion meines theaters, nämlich das verschütten von flüssigkeiten auf senkrechten und waagrechten flächen demonstrieren. das beschütten von flächen (vor allem von senkrechten flächen) wurde zu einem grundritual meiner aktionen. es wurde mir noch einmal möglich, grundelemente meines theaterkonzeptes auf einer fläche vorzuführen. ich wollte zeigen, wie das verschütten, verspritzen und verschmieren und verplantschen von roter farbflüssigkeit beim beschauer sinnlich-intensive erregung hervorrufen kann, zu sinnlich-intensivem empfinden auffordert. der malprozess, der vorgang war entscheidender als das resultat. ich versuchte durch meine malerei ein beispiel zu geben, wie sehr es möglich ist, sich in sensibelste wahrnehmungsintensität zu versetzen. ich plante, dass in den spielen des orgien-mysterien-theaters riesige flächen im sinne eines feierlichen rituals, eines liturgischen vollzuges von den spielteilnehmern mit farbe beschüttet werden sollten. es war eine klare verbindungslinie zu ziehen von jenen elementaren sinnlichen erregungen, die meine malerei auslöste, und jenen erregunsexzessen der aktionsvorgänge mit fleisch, blut und eingeweiden. es war eine steigerung gegeben bis zur ausweidung und zerreissung des lammes. bereits die malerei war der ansatz dazu, verdrängte bereiche auszuagieren, abzureagieren. so war es mein weg, über die aktionsmalerei die praktische verwirklichung meines o. m. theaters einzuleiten. ich machte ausstellungen, in welchen ich meine aktionsmalereien zeigte und warb damit für mein projekt. gleichzeitig veranstaltete ich im engsten kreis (schaumalen) malaktionen. hier war eindeutig alle aufmerksamkeit auf den vorgang gerichtet, den wir versuchten, fotografisch und filmisch zu dokumentieren. diese malaktionen waren die vorstufen meiner eigentlichen aktionen. da ich in meinen partituren schon jahre früher den durchbruch zum aktionstheater vollzogen hatte, war es für mich ein kleiner schritt, von der noch stilisierten malaktion zum arbeiten mit wirklichkeit zu gelangen. farbe wurde zu blut, die bildfläche wurde zur wirklichkeit der wand, an welche ein geschlachtetes schaf wie gekreuzigt gehängt und ausgeweidet wird. die malaktionen überschneiden sich mit den aktionen. die malaktionen sowie die eigentlichen aktionen sind getrennt nummeriert. ich veranstalte bis heute malaktionen, davon viele öffentlich, ich fasse sie als grosse theatralische rituelle ereignisse auf. 1984 fand eine malaktion in turin statt. 1987 hatte ich das glück, eine 14tägige malaktion in der wiener sezession zu veranstalten. zur biennale von sidney konnte 1988 eine malaktion realisiert werden. 1997 lud mich karheinz essl ein, eine malaktion im schömer haus zu realisieren. im gleichen jahr veranstaltete ich im museum des 20. jahrhunderts meine bisher grösste malaktion. das museum wurde mit weissgrundierten leinwänden vollgestellt, welche mit blut und schwarzer farbe beschüttet und bespritzt wurden. während des 6-tage-spieles 1998 in prinzendorf gab es ebenfalls eine malaktion. (2000)