©Archiv Cibulka-Frey

Schloss Prinzendorf

meine verwandten mütterlicherseits stammten aus dem weinviertel, aus prinzendorf. ich liebe das weinviertel mit seinen sanften hügeln, weingärten, kornfeldern und kellergassen. meine tante, die mich zur firmung geführt hatte, lebte in der zistersdorferstrasse. wir besuchten sie alljährlich zu pfingsten. damals führte vor ihrem haus ein weg quer durch die felder zum schloss prinzendorf. es war das zentrum eines gutsbetriebes welcher dem stift klosterneuburg gehörte. wir gingen den weg zum schloss. es war ein wunderschöner pfingstmorgen. die sonne schien, lerchen sangen, alles blühte. ich hatte ein gewaltiges – einer erleuchtung ähnliches – naturerlebnis. ein ja zur entwicklung der natur schien alle verneinungstendenzen zu überwinden. das schloss erschien mir wie ein heiliges theater, das mir der staat, wenn ich alt bin, zur verfügung stellen wird für die realisierung meines werkes.
nachdem man mich in der folge wegen meiner arbeit dreimal mit arrest bestraft hat, blieb mir nur das andenken an diese pfingsterleuchtung an der wunderbaren schlossanlage. bei meinen ausstellungen im ausland, auch in den usa, zeigte ich allerdings das foto vom schloss prinzendorf und bezeichnete es als das o.m. theater.

nach prinzendorf fuhren wir, meine freunde und ich, immer wieder, um in die weinkeller meiner verwandten einzukehren. während einer der kellerpartien fragte meine frau beate meinen onkel, ob er ein billiges haus für uns wüsste. er meinte, wir sollen das schloss kaufen, es wäre um den grundpreis zu erwerben. beate wurde mit den verkäufern handelseinig. sie war kinderpsychologin und wollte das schloss für diese zwecke und für mein theater benützen. so sollte sich mein traum auf wunderbare weise erfüllen. schloss prinzendorf wurde mein theater. diese schlossanlage war die ideale voraussetzung für das orgien mysterien theater. der schlosshof und der park waren von einer mauer umfriedet. in den stallungen, in den räumen des schlosses und in dessen grossen und tief liegenden weinkeller können aktionen vollzogen werden. im ersten stock des schlosses war/ist eine kapelle. unter dem schlossgelände gab es unterirdische gänge, die 3 km vom schloss entfernte orte erreichten. meine gezeichneten unterirdischen gänge waren also vorhanden. diese unglaublichen voraussetzungen fand ich vor. rundherum waren weingärten, felder und drei kellergassen, die in das aktionsgeschehen einbeziehbar waren. ich konnte viele pfingstfeste und viele grosse aktionen in meinem theater realisieren. meine frau beate erlebte 1975 noch die aufführung des 1. tages des 6. tage spieles. 1977 verunglückte sie bei einem verkehrsunfall. dieser tragische vorfall brachte mir den grössten schmerz meines lebens, restlose verzweiflung und ratlosigkeit. folgender text wurde auf einer marmortafel am schloss angebracht.

Schloss Prinzendorf wurde 1971 von meiner verstorbenen Frau Beate Nitsch für das OM Theater erworben. Ihr unermüdlicher Einsatz und Glaube an meine Arbeit verpflichten mich, diese zu verwirklichen. Hermann Nitsch 1984

1998 konnte mit einem grossen team von 500 mitwirkenden das 6-tage-spiel aufgeführt werden. drei orchester, ein gemischter chor, eine kammermusikgruppe, eine choralschola und ca. 50 akteure wirkten mit. die musik wurde geleitet von clemens gadenstätter mit zwei subdirigenten. regie führte alfred gulden. die umgebung, die kellergassen, verschiedene weinkeller wurden mit einbezogen. prozessionen gingen durch felder und weingärten. ein seins-, lebens- und schöpfungsbejahendes fest wurde abgehalten. angesichts des letzten sonnenaufganges des spieles umarmten sich alle spielteilnehmer im obstgarten des schlosses.

2022 wollen wir das neue 6-tage spiel im schloss prinzendorf aufführen. freude wird die umgebung des schlosses durchstrahlen. das pfingstwunder, die ausschüttung des heiligen geistes wird identisch mit auferstehung, erleuchtung, erfahrung des pantheismus und brahman. der ekstatische zustand der seinsmystik wird erfahren. die orgiastische dionysische begeisterung ist in dem weinrausch eingebettet und in den sinnlichen vollzug der zerquetschung überreifer weintrauben, der zuckersüsse klebrige traubensaft rinnt über die finger. ein sakrament wird vollzogen. dem gegenüber steht das leuchtende weltall des gestirnten himmels und der schall kosmischer klänge. (2019/2021)