Farblehre
von 1979–1981 und weiters von 1989–2001 hielt ich an der frankfurter kunsthochschule für junge, neu angekommene studenten einen kurs ab. er hiess: „einfache farb- und formversuche“. ich hatte keine andere absicht, als jungen menschen ein unvoreingenommenes verhältnis zur farbe zu lehren. jenseits des gedankens an grosse kunst sollten schöne farben nebeneinandergesetzt werden. zu diesem zweck wurde die fläche eines halben din a4-papieres in sieben gleiche felder geteilt. es ging darum, schöne farben mit ölpastellkreiden nebeneinanderzusetzen. jeder sollte, gemäss seinem gefühl, farben zusammenstellen, die er als schön empfindet, die zueinander im harmonischen verhältnis stehen. farben sollten zum klingen gebracht werden. der unterschied zwischen wahllosen bunten farbzusammenstellungen und wirklicher farbigkeit wurde herausgearbeitet. farben wurden wie töne begriffen. farbharmonien wurden zusammengestellt. eine reine freude am farbigen gestalten sollte entstehen, ähnlich wie an der orgel oder am klavier harmonien gesucht, gefunden und zum zusammenklang gebracht werden. bruckner soll oft an der orgel nur reine dreiklänge aneinandergefügt haben. in der musik sind die gesetze der harmonien strenger, fast mathematisch geregelt. in der malerei ist es anders, hier gibt es vorerst keine präzis handhabbaren harmonischen gesetze, keine strenge harmonielehre ist möglich. es bleibt sehr dem subjektiven gefühl überlassen, was als farbig schön, was als ekstatische glut und leuchtkraft der farben, als harmonisch bezeichnet wird. trotzdem gibt es übereinstimmungen, sonst könnte keine qualität der malerei, der farbkunst festgestellt werden. es wird gesprochen von farbräuschen, die die bilder von tizian, tintoretto, veronese oder rubens ausstrahlen, oder wir begeistern uns an der farbigen glut der bilder el grecos, der goldgelben, rotgrünen leuchtkraft der arbeiten von rembrandt. eine äusserst feinnervige delikatesse der farben von vermeer, velasquez und watteau stellt sich dar. eine neue, bisher nie dagewesene farbigkeit offenbaren die impressionisten. zur ekstase gesteigert wird diese farbigkeit durch von gogh.
ich versuchte nun, den schülern meine erfahrungen von farbigkeit mitzuteilen, indem ich ihre arbeiten nach meinen gesichtspunkten beurteilte. wenig lässt sich verallgemeinern. farbige harmonik entsteht, meinst wenn ähnliche farben nebeneinandergesetzt werden. etwa rot- und orangetöne, gelb- und orangetöne, violett zu rot übergehend, violett zu blau übergehend, gelb zu grün, grün zu blau, kalte zu warmen roten tönen übergehend. dann geht es darum, eine oder mehrere farben innerhalb des harmonischen gefüges besonders zum klingen zu bringen. eine andere möglichkeit ist, farben gerade durch dissonanzen, durch komplementärfarben zur wirkung zu bringen. oft entsteht ein berauschendes, trunkenmachendes flimmern, aber sehr viel mehr ist von einer gesetzmässigkeit nicht zu sagen. manches mal ist alles ganz anders und muss wieder aufs neue entschieden und gestaltet werden. die letzen zusammenhänge der harmonik, der form werden immer geheimnis bleiben. trotz der scheinbaren geregeltheit in der musik ist auch in ihr in letzter hinsicht alles möglich.
ich träumte immer davon, eine kunst zu entwickeln, welche nur auf harmonik aufbaut, rhythmus und melodie sind ausgeschaltet, nur der reine klang, der zusammenklang, die farbe, die reinheit der farbe, die schönheit des nebeneinander und gleichzeitigen klingens, die mischung, die lasur. es ist zu hören, es ist jetzt fast egal ob ich musik oder malerei meine, ob ich die kunst der töne oder die der farben meine. in beiden fällen spricht man von farben und tönen, von harmonien und dissonanzen. die medien gehen ineinander, die unterschiede sind gering. die töne der musik breiten sich aus in der zeit, setzen sich aber ineinander, vermischen sich zur harmonie im augenblick. die malerei breitet sich auf der fläche aus, täuscht oft den raum vor, die farben (farbtöne) vermischen sich aber im augenblick im gehirn des betrachters zur harmonie (zur harmonie der disharmonien).
selbstverständlich ist, dass die kunst nicht nur das reine gesetz der harmonien kennt, sondern oft wiederum erst die mischung von harmonischem und dissonanzen lässt die eigentliche form, das kunstwerk entstehen.
in der musik versuchte ich meine gedanken zu verwirklichen, indem ich auf klavier, harmonium und orgel einfach nur lang gezogene töne (vermischte) gleichzeitig spielte (zum erklingen brachte). diese studien waren und sind von höchster wichtigkeit für die musik des o.m. theaters. die für mich wesentliche vision der sphärenmusik lässt sich über den gedanken der harmonik verwirklichen. das auskosten der harmonien im zeitraum. eine lange zeitdauer ist für das registrieren und geniessen harmonischer konstellationen notwendig, daher die lang angehaltenen, lang zum klingen gebrachten töne. die harmonik wird in der bisherigen musik viel zu wenig ausgekostet, genossen. ein rauschhaftest, meditatives geniessen harmonischer gegebenheiten soll angestrebt werden. die fülle der zeiten, der unendliche „zeitraum“ der ewigkeit steht dazu zur verfügung.
albers fand im verlauf seines langen lebenswerkes, ineinandergeschobene farbquadrate als die einfachste form, farbharmonien darzustellen, zu veranschaulichen. ich möchte einen schritt weiter gehen und die nackte farbskala als idealste demonstration farbiger konstellationen und harmonischer verhältnisse ansehen. so weit ist nun alles vorbereitet für die studenten, um vollkommen unbelastet in den fast unendlichen kombinationsmöglichkeiten herumzugreifen und sich rückhaltlos in der fülle der harmonien auszutoben. ein umgehen mit der farbe, ein farbgefühl soll erlernt werden, für das spätere gestalten und malen von bildern. die reine farbe, die harmonie der farbe, jenseits komplizierter kunstgestaltungen, vermag gesundheit, ruhe, ausgeglichenheit, lebendigkeit, freude und rausch zu vermitteln, auch gefühle, empfindungen wie trauer, freude, schmerz, qual, angst, liebe. katastrophen wie verletzung, tod, zerstörung, vorgänge wie heilung, genesung, auferstehung konnten durch farbreihen dargestellt werden.
krankheit, verletzung, zerstörung und tod kann sich darstellen.
zuletzt griff ich den synästhesiegedanken des o.m. theaters auf. ich liess farbreihen gestalten, die einen bestimmten geruch oder duft ausdrücken sollen. oder farbreihen wurden gezeichnet, und zu jeder farbe sollte der entsprechende geruch oder geschmack gewählt werden. alle blätter wurden von uns gemeinsam besprochen und bewertet (wie gesagt, ohne ein präzises wissenschaftliches wertungssystem zur verfügung zu haben). trotzdem, beim fortschreiten unserer versuche entstand immer mehr übereinkunft, die nicht fest verankerte wertung wurde immer präziser. ich war begeistert über die resultate die die studenten erzielten, und dies, obwohl sie anfangs den sinn ihrer tätigkeit nicht einsahen. sie waren an die schule gekommen, um komplizierte, grosse kunst zu erlernen und auzuüben und bei mir mussten sie simple farbskalen herstellen. fast möchte ich sagen, sie waren noch nicht reif für das einfache, aber gleichzeitig die wurzel-findende zueinander-in-beziehung setzen von farben, zuletzt aber, glaubte ich, wurde von fast allen der sinn unserer tätigkeit eingesehen!
die qualität der resultate bestimmte mich, das allgemeine hineinhorchen (loten) in die farbempfindungen des menschlichen auszunützen für die farbtheorie des o.m. thaeaters. ich möchte einmal die besten resultate der schüler zu einem buch vereinigen, um auf die farbprojektionen des o.m. theaters und die rolle, die die farben innerhalb des gefüges des o.m. theaters spielen, hinzuweisen. ich betrachte diesen farbkurs als die freilegung der demonstration der reinen farbe, der farbharmonik für das o.m. theater. (1979-91/2007)